Weißsein bedeutet, keine eigenen Rassismuserfahrungen gemacht zu haben und in Bezug auf Rassismus (gewollt oder ungewollt) in einer privilegierteren Position zu sein. Weiße Menschen profitieren auf der ganzen Welt von einem rassistischen System. Dadurch, dass Schwarze Menschen und Personen of Color abgewertet, unsichtbar gemacht, zum Schweigen gebracht oder nicht wahrgenommen werden, können weiße Menschen umso mehr Raum einnehmen und Ressourcen unter sich aufteilen. Das äußert sich beispielsweise darin, dass das weiße Pärchen eher die Wohnung bekommt als die Schwarze Familie, dass der weiße Bewerber eher den Job bekommt als der Mitbewerber of Color und die weiße Schülerin bessere Noten im Fach Deutsch als ihr Schwarzer Sitznachbar – bei gleicher Leistung.
Weißsein ist in Deutschland die Norm, das heißt, es ist das, was als „normal“ angesehen wird. Weiße Menschen maßen sich daher häufig an, von einer vermeintlich „neutralen“ Position aus zu sprechen und genießen das Privileg, die eigene Gruppenzugehörigkeit nicht benennen zu müssen. Weißsein bleibt daher häufig unsichtbar und unbenannt. Im Umkehrschluss wird alles, was nicht-weiß ist, dabei als „das Andere“ und „Fremde“ konstruiert und abgewertet.
Weißsein geht somit mit vielen Privilegien einher, wie beispielsweise:
- Als Individuum betrachtet zu werden
- Sich nicht rechtfertigen müssen, warum man im eigenen Land lebt
- Nicht automatisch als >fremd< betrachtet zu werden
- Nie darüber nachdenken zu müssen, ob Verdächtigungen oder Kontrollen vielleicht aufgrund eines vermeintlich >ethnischen< Aussehens erfolgen
- Auf Rassismus nicht reagieren zu müssen
- Sich benehmen zu können, als habe man automatisch eine neutrale Position inne – und nicht eine weiße (Noah Sow 2019: 190)
Kritisches Weißsein bedeutet nun, sich die eigene, historisch bedingte, soziale Position bewusst zu machen und anzunehmen (Piesche, Arndt 2019: 193). Es bedeutet, zu erkennen, dass die eigene weiße Position unabhängig der eigenen Selbstwahrnehmung existiert und mit vielen Privilegien einhergeht. Kritisch mit seinem eigenen Weißsein umzugehen heißt, in einem ersten Schritt zu akzeptieren, dass Rassismus ein wirkmächtiges System ist, das auf allen Ebenen (institutionell, strukturell und individuell) wirkt. Darüber hinaus bedeutet es, sein eigenes Leben rassismuskritisch zu hinterfragen und rassistische Bilder und Narrative aktiv zu verlernen. Es bedeutet den dauerhaften Auszug aus Happy Land (Tupoka Ogette), in dem Rassismus nicht existiert. Dies kann ein langer und schmerzhafter Prozess sein, der mit Gefühlen wie Ohnmacht, Schuld und Scham einhergeht. Zudem ist es ein Prozess, der niemals endet, sondern ein lebenslanges Suchen und (Weiter)Lernen bedeutet.
Es ist wichtig anzumerken, dass kritisches Weißsein keine Denkweise ist, die von weißen Personen erfunden wurde. Vielmehr geht die kritische Weißseins-Forschung auf Jahrhunderte altes Wissen und die emanzipatorischen Kämpfe von BIPOCs zurück. Sie ist damit auch kein neuer „Trend“, sondern war in Zeiten des Kolonialismus häufig eine Überlebensstrategie von versklavten Menschen: sie mussten sich bemühen, die weißen Kolonialherren*, die sie dominierten, möglichst gut zu verstehen, um zu überleben. Daher studierten sie ihre Denkweisen und Angewohnheiten sehr genau und gaben dieses Wissen an nachfolgende Generationen weiter.
*Kolonialherren waren fast ausschließlich Männer*, deshalb wird hier das generische Maskulinum verwendet. Nichtsdestotrotz waren auch Frauen* an der Unterdrückung und Versklavung von Schwarzen Menschen beteiligt.
Quellen:
Arndt, Susan / Ofuatey-Alazard, Nadja (2019) Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast-Verlag: Münster
Maisha Eggers, Maureen / Kilomba, Grada / Piesche, Peggy / Arndt, Susan (2017): Mythen, Masken, Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Unrast-Verlag: Münster. 3. Auflage
Dr. Robin DiAngelo (2017): Deconstructing White Privilege: https://www.youtube.com/watch?v=DwIx3KQer54