Gedankengemüse – Othering

Othering (englisch ‚other‘ = deutsch ‚anders‘) beschreibt einen Prozess, in dem eine Gruppe sich von einer anderen Gruppe dadurch klar abgrenzt, dass sie diese Gruppe als anders und fremdartig darstellt; sie also „anders macht“ im Vergleich zur eigenen Gruppe. Im Deutschen lässt sich der Begriff ‚Othering‘ beispielsweise gut mit ‚Andersmachung‘ übersetzen.

Eine machtvolle Gruppe zieht immer wieder aufs Neue eine Grenze zu einer weniger machtvollen Gruppe, vereinheitlicht sie, wertet sie ab und spricht ihr die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe und / oder gewisse Grundrechte ab. Durch die Abwertung der „Anderen“ fällt gleichzeitig die Selbstbewertung der eigenen Gruppe positiv aus. Die Fremdzuschreibungen und die damit verknüpften Eigenbeschreibungen der machtvollen Gruppe sind meistens in gegensätzliche Begriffspaare verpackt; wie „rückständig und fortschrittlich“ oder „faul und fleißig“. Die weniger machtvolle Gruppe kann sich nur ganz schwer gegen die negativen Zuschreibungen wehren.

Warum wird Othering betrieben?

Die Zuschreibungen, die von der dominanten Gruppe gemacht werden, sind gleichzeitig Basis und Rechtfertigung dafür, die eigenen Machtinteressen auf Kosten der anderen Gruppe durchzusetzen.

Abwertende, kulturalistische und rassistische Zuschreibungen wurden und werden von einer Dominanzgruppe benutzt, um von ihr ausgeübte Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten – wie Ausbeutung, Versklavung und Kolonialismus – gegen andere Gruppen und Personen ideologisch legitimieren zu können.

So wurden beispielsweise die Enteignungen und Ermordungen der Indigenen Völker Nordamerikas durch weiße Europäer*innen u.a. dadurch legitimiert, dass den Völkern die Fähigkeit abgesprochen wurde, als kleine Nomadengruppen mit dem riesigen Reichtum der Böden „vernünftig“ umgehen zu können. Dass aber viele der Völker sesshaft waren, großflächig Mais, Bohnen und Kürbis anbauten und in Städten (z.B. Cahokia*) lebten, ist ein Wissen, das ausgelöscht wurde, weil mehrheitlich nur die Geschichten und Behauptungen der mächtigeren weißen Europäer*innen erzählt wurden.

Was kann ich positiv verändern? 

In jeder machtvollen Gruppe gibt es ein gemeinsames Wissen über die „Anderen“ und über „uns“. Dieses Wissen setzt sich beispielsweise aus Annahmen, Bildern und Geschichten zusammen und wird oftmals nicht hinterfragt, sondern als „normales Wissen“ bewusst und unbewusst abgespeichert und prägt Wahrnehmungen und Verhaltensweisen.

Menschen, die – gewollt oder ungewollt – einer machtvollen Gruppe angehören, können nun beginnen, dieses „Wissen“ und die eigenen Normalitätsvorstellungen zu hinterfragen. Statt Geschichten ÜBER die „Anderen“ unhinterfragt für wahr zu halten, können sie sich auf die Suche nach Geschichten VON den „Anderen“ machen.

*Cahokia hatte im 12. Jahrhundert mehr Einwohner*innen als London zur selben Zeit (Aram Mattioli). 

Zum Weiterlesen und Weiterdenken

María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hrsg.)| Die Dämonisierung der Anderen | transcript

Iman Attia (Hg.) | Orient- und IslamBilder – Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischen Rassismus | UNRAST Verlag

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